Mai 1958
Einziges bekanntes Foto von Ingeborg Bachmann und Max Frisch, 1962 in der Via de Notaris 1 F in Rom, aufgenommen von Mario Dondero anlässlich eines Artikels über Max Frisch in L’Espresso
Quelle: Max-Frisch-Archiv, Zürich, Foto: Mario Dondero/SV
Mai 1958
Während sich Max Frisch wegen der Verfilmung seines Theaterstücks Biedermann und die Brandstifter in Hamburg aufhält, hört er im NDR Ingeborg Bachmanns Hörspiel Der gute Gott von Manhattan und schreibt ihr einen ersten Brief.
Juni 1958
»Verehrter, lieber Max Frisch«: Ingeborg Bachmann schreibt einen ersten Brief an Frisch.
3. Juli 1958
Erste persönliche Begegnung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch in Paris – Beginn der Liebesbeziehung.
November 1958
Bachmann gibt ihren Wohnsitz in München auf und übersiedelt nach Zürich.
Oktober 1959
Frisch macht Bachmann schriftlich einen Heiratsantrag.
Ab Anfang April 1961
Bachmann und Frisch beziehen eine gemeinsame Wohnung in Rom.
31. Dezember 1962
In einem Brief, der auf den Jahreswechsel datiert, hält Bachmann die Trennung von Frisch für unausweichlich.
März 1963
Vereinbarung der endgültigen Trennung zu Bachmanns Bedingungen.
Juni 1963
Letzte persönliche Begegnung von Bachmann und Frisch in Rom und Auflösung der gemeinsamen Wohnung.
9. April 1972
Letzter Brief von Ingeborg Bachmann an Max Frisch.
20. April 1973
Letzter Brief von Max Frisch an Ingeborg Bachmann.
Franz Josefstrase 9a
München 13
9. Juni 1958
Verehrter, lieber Max Frisch,
Ihr Brief ist mir schon so vieles gewesen in dieser Zeit, die schönste Überraschung, ein beklemmender Zuspruch und zuletzt noch Trost nach den argen Kritiken, die dieses Stück bekommen hat. Ich bin froh, schon lange, daß es Sie gibt, mit der großen Genauigkeit, für die »andere Nation«, der nichts oder nur Ungenaues erwidert wird.
Und ich möchte ihr begegnen mit der Aufrichtigkeit, die sie erwarten darf. Wenigstens es versuchen. Es war der erste Versuch.
Ich wollte Ihnen ja schon eher antworten, aber in den letzten Tagen sah es bald aus, als ginge meine Reise über Zürich, bald als ging’ sie weit dran vorbei, und nun ist’s entschieden. Sie geht über Zürich. So will ich den Brief rasch abschicken mit der Frage, ob ich Sie, wenn ich Sonntag (diesen kommenden Sonntag) nach Zürich komme, sehen darf. Ich könnte zwei, drei oder vier Tage bleiben, und ich hoffe so sehr und ohne rechte Überlegung, daß auch Sie es wünschen könnten. (Ich werde im Hotel Urban, in der Nähe des Café Odeon, wohnen.) Es wäre zu schön und ist nur fast zuviel verlangt. Sie haben mich schon sehr glücklich gemacht! Meine besten
Wünsche sind bei Ihnen und Ihrer Arbeit –
Ihre
Ingeborg Bachmann
21.VII. 59
Ingeborg, Du, meine Ingeborg!
Ich kann nicht weg von hier, ich kann das Einzige, was ich möchte, nicht: zu Dir fahren – Du glaubst nicht mehr, dass ich mich sehne nach Deinem Gesicht taglang Stunde um Stunde. Zuviel ist geschrieben, zuviel Ungenaues, geschrieben – wo ich habe schweigen wollen, bis ich gesund bin und fähig zur Liebe, wenn ich rede oder schreibe. Schweigen bis zum Herbst? aber das ging ja einfach nicht. Und nun ist einiges gesagt in so heilloser Art und Weise – vom Spital aus, nachher, nicht gesagt, sondern geschrieben, was nur in der Nähe des Gesprächs, von Gesicht zu Gesicht, sagbar wäre. –
Eine einzige Berührung, meine ich manchmal, eine Berührung Deines Haares, Deiner Hände, ein einziges Lachen gäbe die Wirklichkeit zurück, doch es müßte bald sein. – Jetzt ist die Zeit gegen uns. Drum jeder Tag so endlos! Ich fahre, wenn die Kur mich freilässt, wie ein Idiot auf allen Bergwegen umher –
Küss mich, Ingeborg!
Dein Max